Jusos Ulm

Solidarisch in Ulm

Den Holocaust überlebt - Max Mannheimer zu Gast im Café Jam

Veröffentlicht am 03.03.2008 in Presseecho

Es gibt nicht mehr viele, die die Gräuel in den Konzentrationslagern der Nazis bezeugen können. Dr. Max Mannheimer ist einer davon. Auf Einladung der Ulmer Jusos berichtete der Holocaust-Überlebende.

Max Mannheimer

Erschienen in: Südwestpresse Ulm
Erscheinungsdatum: Montag 03.03.2008

Immer mehr Stühle mussten herbeigeschafft werden, weil die Anzahl der Sitzplätze im Jam am Münsterplatz, dem Jugendcafè des evangelischen Kirchenbezirks Ulm, bei weitem nicht ausreichte. In Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg (DZOK) hatten die Ulmer Jusos zum Zeitzeugengespräch mit Dr. Max Mannheimer, einem Überlebenden des Holocaust, eingeladen. An die 100 Zuhörer, überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, wollten die Erinnerungen des heute 88-Jährigen hören. Er komme nicht als Ankläger oder Richter, sondern als Zeitzeuge, sagte Mannheimer, der in München lebt. Er freue sich, dass so viele Jugendliche gekommen seien: "Da mache ich mir um den Bestand der Demokratie keine Sorgen."
 
Max Mannheimer wächst in Neutitschein im heutigen Tschechien auf. Mit dem Münchner Abkommen vom September 1938 verleibt sich NS-Deutschland dieses Gebiet, das Sudetenland, ein. Es folgen die Novemberpogrome, der Vater, ein Großhandelskaufmann, wird erstmals inhaftiert. Ständig gibt es neue Einschränkungen: Nach 20 Uhr dürfen Juden nicht mehr auf die Straße, öffentliche Schulen werden ihnen verwehrt, ihnen wird ein "J" in den Ausweis gestempelt. Ab September 1941 muss jeder Jude einen Judenstern "fest angenäht" an der Kleidung tragen.
 

Im Januar 1942 wird die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen, die Deportation der jüdischen Bevölkerung in den Osten, wo sie ermordet werden soll und wird. Im Januar 1943 werden Max Mannheimer, seine Frau, seine Eltern, die Brüder Edgar und Ernst, seine Schwägerin und seine Schwester nach Theresienstadt verladen. Dort sortiert ein Arzt "in grüner Uniform mit Totenkopf" aus: Nach links kommen die, die arbeitsfähig sind, nach rechts diejenigen, die sofort umgebracht werden. Nur Max und die beiden Brüder dürfen sich links einreihen. Ihre Angehörigen sehen sie zum letzten Mal. "Unser Transport umfasste etwa 1000 Personen. Davon durften 155 Männer und 63 Frauen vorerst am Leben bleiben."
 
Den "Arbeitsfähigen" werden die Kopf- und Körperhaare abrasiert, sie erhalten Jacke, Hose und Schuhe. "Einen Mantel, keinen Schal und das Anfang Februar." In den Baracken stehen dreistöckige Holzpritschen für jeweils sechs Personen, es gibt keine Decken, keinen Strom. Jeden Morgen ist Zählappell, einmal wöchentlich kommt ein Arzt und prüft, wer noch arbeitstauglich ist. "Das war das Schlimmste" erinnert sich Mannheimer, "nicht der Hunger oder die Schmerzen, sondern die Angst, nicht mehr arbeitsfähig zu sein."
 
Der damals 23-Jährige ist arbeitsfähig: Noch im Februar 1943 kommt er nach Auschwitz-Birkenau, wo ihm seine Häftlingsnummer in den linken Unterarm tätowiert wird. Im Oktober darauf wird er im Warschauer Ghetto zu Abbrucharbeiten herangezogen, am 6. August 1944 kommt er nach Dachau. Dort ist er in der Wäscherei eingesetzt.
 
Im Februar 1945 wird er von einer Laus gebissen, was einem Todesurteil gleichkommt. Mannheimer bekommt Fleckfieber, kommt in eine gesonderte Baracke. "Kurz darauf hieß es, die ganze Baracke wird nach Kaufering verlegt", erzählte er. Jeder wusste: "Kaufering" bedeutet den Tod, denn dort wurden die Häftlinge einfach nicht mehr versorgt.
 
"Mein Bruder ging zum Kommandanten und flehte ihn an, mich nicht zu verlegen. Daraufhin wurden insgesamt drei Juden nicht verschickt. Ich war einer davon."
 
Am 30. April 1945, am Tag, an dem Hitler Selbstmord begeht, werden Max Mannheimer und sein Bruder Edgar von den amerikanischen Truppen befreit. Die beiden sind einzigen Überlebenden der Familie.

PETRA FORBERGER